Robert S Gessner_Portrait

Der 1908 in Zürich geborene Robert S. Gessner war Zeit seines Lebens eine bekannte und angesehene Persönlichkeit seiner Vaterstadt und war als Künstler im In- und Ausland an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, aber trotzdem wurde sein Name nur selten genannt oder blieb unerwähnt, wenn die berühmte Phalanx der Zürcher Konkreten die Konkrete Kunst der Schweiz vertrat. Das ging allerdings nicht nur ihm allein so, wenn man den Blick einmal auf die Reihen gleichzeitig arbeitender KünstlerInnen wirft. Auch deren Namen sind wohlvertraut und sie galten auch damals schon als anerkannte Künstlerschaft, wie sich das eben bei Robert S. Gessner exemplarisch erkennen lässt. Ihre Arbeit war nicht nur notwendig, um die neue Kunst in der Schweiz zu festigen, sie hatten auch als Einzelne immer wieder hervorragende Werke geschaffen.

Um auf die gelegentliche Verflechtung von beiden „Gruppierungen“  - weder die einen noch die andern waren jedoch im Sinne von Künstlergruppen anzusprechen –hinweisen zu können, eignet sich vorzüglich eine gemeinsame Ausstellung in Bern im Jahr 1951. In Bern hatte sich in den frühen 50er Jahren eine Szene künstlerisch motivierter Jugend gebildet. Es waren vornehmlich Grafikerinnen und Grafiker, womöglich aus den gleichen Ateliers stammend, und es waren KünstlerInnen und Schriftsteller, alle vor ihrer ersten Anerkennung. Es waren darunter später so bekannte Namen wie Diter Rot, Marcel Wyss und Luginbühl. Und alles in der Hand hatte der Buchhändler und Galerist René Simmen. Der Titel der erwähnten Ausstellung lautete Neue Malerei und Plastik aus Zürich. Die Namen der Teilnehmer in alphabetischer Reihenfolge waren: Aeschbacher, Bill, Coray, Eichmann, Fischli, Gessner, Graeser, Honegger, Leuppi, Loewensberg, Lohse.

Komposition, 1927

Keine Frage war, dass die Auswahl gut überlegt war, und die Eingeladenen für die neue Kunst aus Zürich repräsentativ sein sollten. Ungefähr die Hälfte der Namen umgab bereits die Aura internationaler Erfolge. Für die moderne Kunst in Zürich, dem Schweizerischen Schwerpunkt jedoch, sprachen alle Eingeladenen. Der Ausstellung war ein kleiner Katalog im Postkartenformat gewidmet, der sich aus einem A4-Format falten ließ und auf zwei Seiten des Faltblattes einen programmatischen Text von Bill abgedruckt hatte. Es war der bekannte Text mit dem Eingangssatz: Kürzlich bat mich ein Freund aus Teneriffa für seine Zeitschrift einen kurzen Aufsatz über das Thema „Realismus und Abstraktion“ zu schreiben. Das Ganze trug die Handschrift von Max Bill, auch die Auswahl der 11 Künstler und der einen Künstlerin. Als Zürcher, der in Bern studierte und gleichzeitig ein Praktikum an der Feuilleton-Redaktion des Bund absolvierte, hatte ich bei der Auswahl auch ein bisschen mithelfen können, da mir die Zürcher Künstler seit 1944, der Ausstellung der Konkreten in der Galerie Des Eaux Vives an der Seefeldstraße, zunehmend bekannt geworden waren.

Für die Revision Robert S. Gessner ist diese Einbindung in eine recht honorige Gruppe der Beweis seiner Anerkennung. In meinen Notizen zur Ausstellung machte ich zu jedem Namen einige Bemerkungen. Bei Robert S. Gessner hatte ich notiert: Diese Kunst ist auf alle Fälle nicht mehr wegzudenken. Es erhebt sich die Frage, ob sich die schweizerische Kunstgeschichte nicht einmal der Gruppe der weniger bekannt gewordenen Künstler annehmen sollte, also z.B. Gessner, Aeschbacher, Fischli, Eichmann, Leuppi hinsichtlich ihrer persönlichen Rolle der Aufarbeitung des modernen Postulats. Was sich bei der Revision von Robert S. Gessner erhellt, ist, dass dieser Mann, der nicht scheu war, was seine Stellungnahmen zu verschiedenen städtischen und beruflichen Ärgernissen beweisen, dennoch ein zurückhaltender Mann war, und dies ganz einfach aus persönlicher Noblesse.

Entwurf für das Wandbild im Café Select in Zürich, 1935

Robert S. Gessner ist einmal der Zürcherischste aller Zürcher genannt worden. Nicht zu unrecht, denn seine berufliche und künstlerische Entwicklung spielte sich – auch wenn man die vielen Reisen berücksichtigt – in der Stadt Zürich ab, in der er sich so gut auskannte. Ein wichtiger Austausch fand für ihn durch die meist längeren Aufenthalte in seinem Haus auf der Insel Ibiza statt, die seine Malerei wesentlich beeinflussten. Diese beiden Schauplätze umfassen bereits die Geographie seiner Arbeitsplätze. Wirft man einen Blick auf die Alterskollegen z.B., in Deutschland, so standen dort eine bis zwei Generationen zur Zeit als Gessners berufliche Tätigkeit als Graphiker und gleichzeitig als freier Künstler einsetzte, 1932, vor der Frage der Emigration oder des Ausharrens. Zürich, das seit der Dada-Bewegung von 1916 internationalen Strömungen gegenüber offen war, wurde in den 30er Jahren Sammelbecken von Emigranten und Rückkehrern. Doch auch unter den Einheimischen waren Künstler, die im Sog der großen Wandlungen, die ihren Anfang im ersten und zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts nahmen, für eine Erneuerung, für eine zeitgerechte Kunst eintraten.

Gessner ist bei diesen Bewegungen in Zürich nicht von Anfang an dabei. Er hatte sich auch nicht wie Hans Fischli, Max Bill, Serge Brignoni, Hans Erni – um nur die bekanntesten zu nennen – am Bauhaus oder in Paris „umgesehen“. In der einschlägigen Literatur wird er vergessen. Dabei hat die Entwicklung seiner Kunst viele Prägungen von urpersönlicher Eigenart hervorgebracht. Ihre Wirkungskraft verteilte sich jedoch über die Jahre. Ein Höhepunkt oder mehrere, die unbedingt bemerkt werden mussten, entsprechen nicht dem Charakter von Gessners Kunst. Zudem geriet sie ins Spannungsfeld der Konstruktiven und Konkreten Kunst. Es ist durchaus richtig, beide Begriffe nebeneinander zu verwenden. Denn durch ihr Nebeneinander wird im Grunde auch ein Spannungsfeld abgesteckt, indem mit „konstruktiv“ – abgesehen von der historisch erklärbaren Entstehung – strukturdeterminierte Gestaltung auf der Basis von Mathematik und Geometrie verstanden wird, mit „konkret“ andererseits auch empirisch-psychisch bedingte Gestaltung, wodurch innere Tatbestände zu äußeren Tatbeständen konkretisiert werden. Dass sich auf der Ebene der subjektiven Entscheidung Methoden oft auswechseln lassen, ist verständlich. Durch das besondere theoretische Übergewicht der mathematischen Richtung innerhalb der jungen Zürcher Bewegung wurde schließlich das Verständnis der Konkreten Kunst mehr und mehr vom Zweig der rein mathematischen Denkweise vereinnahmt, was jedoch nicht der Absicht von Max Bill entsprach.

Haus an der Sonne, 1947

Die Spannung spiegelt sich in Gessners Ausspruch wider: Aber bin ich nicht ein romantischer Konstruktivist? Die Doppelsinnigkeit der beiden Begriffe „romantisch“ und „Konstruktivist“ hat immer wieder manchen Künstlern mehr oder weniger bewusst Probleme aufgegeben. Die Selbsterkenntnis Gessners ist deshalb verständlich genug, um damit in sein Werk, wie an einem roten Faden geführt, hinein zu leuchten. Im Vorgriff kann auch schon bemerkt werden, dass, wenn es einem Zürcher Künstler gelingen musste, den Widerspruch aufzuheben, die Kunst Gessners dazu prädestiniert war und dass sie dadurch überzeugende Ergebnisse erbracht hat. Es war aber schon viel früher Paul Klee, welcher am Zwiespalt litt, den die „Abstraktion“ entstehen ließ. Auch die Ausstellungen der Galerie des Eaux Vives von 1944/45 liefen noch unter dem Programm „abstrakt-konkret“. In seinem Tagebuch-Eintrag Nr. 951 des Jahres 1915 notierte Paul Klee:

Man verlässt die diesseitige Gegend und baut dafür hinüber in eine jenseitige, die ganz ja sein darf. Abstraktion. Die kühle Romantik dieses Stils ohne Pathos ist unerhört. Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute), desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.

 Für die Kunst von Robert S. Gessner ist Klees Feststellung von der kühlen Romantik dieses Stils ohne Pathos Jahrzehnte später auf eigentümliche Weise immer noch zutreffend. Von einer Spiegelung der Schrecken dieser Welt ist jedoch in Gessners abstrakter – jetzt also auch nicht in seiner Konkreten Kunst – nichts mehr zu bemerken. Im Gegenteil: Die romantische Konkrete Kunst Gessners erweckt eine positive Grundstimmung, in welcher z.B. mediterrane Naturgläubigkeit in Teilen stark mitbestimmend ist. Überdies ist die Kunst Gessners geprägt von seiner langjährigen Tätigkeit als Lehrer an der Kunstgewerbeschule Zürich. Er beherrscht die Techniken. Trotz der Bemerkung, dass sein Werk nicht die Höhepunkte aufweist, die ein Werk in die höchsten Ränge hebt, sind es einige Themen, die, wie ich 1951 bei der Begegnung in Bern meinte, in einer Revision, im Verein mit der sachlich sauberen Maltechnik, besondere Berücksichtigung einfordern. Er war ein Suchender, ein Suchender nach Urbildern, ein Suchender nach der reifen Komposition, ein Suchender nach der perfekten Technik. Man wird seinem Werk insgesamt den Stellenwert einer in sich gereiften, thematisch interessanten Kunst zuschreiben. © Eugen Gomringer


Lebenslauf

 

1908

 


ab 1924

1925 - 27

1927 - 31

 

 

 

ab 1932

1932 -33

 

 

1933

ab 1933

1935

 


1938

 

1941

1940-56

 

 

 

 

 

1947


ab 1950



1957 - 63

 

ab 1960

 


ab 1970

1982
 

in Zürich geboren als Sohn eines Zürcher Oberrichters und Infanterie-Oberst, als Ur-Ur-Enkel des Zürcher Dichters und Malers Salomon Gessner, der durch seine idyllische Behandlung antiker Bukolik berühmt wurde

Besuch der Handelsschule

Beschäftigung mit abstrakter und ungegenständlicher Malerei      

Lehre als Schaufensterdekorateur bei Jelmoli Zürich

Besuch der Kunstgewerbeschule Zürich, Klasse von Alfred Altherr

Übertritt und Abschluss in der Fachklasse für Grafik

Kontakte mit den Lehrern Walter Roshardt, Ernst Keller, Karl Hügin, Otto Meyer-Amden, Ernst Gubler

 Kurze Studienaufenthalte in München, Paris und Mailand

Selbständiger Gebrauchs- und Werbegrafiker und Maler

Beteiligung an einer kleinen Keramikwerkstatt in Ascona

Erste Ölbilder und Linolschnitte entstehen, neben Gouache, Aquarell und Tusche

 Erfolg als Graphiker

Heirat mit Edith Carola Wernecke

Tätigkeit als Grafiker in Zürich, zeichnet und malt in der Freizeit

Heirat mit Beatrice Hüni

Von W. Boesiger erhält er den Auftrag das bekannte Künstler-Café  Select an der Limmat in Zürich mit einem Wandbild auszustatten (zerstört beim Selectbrand in den 40er Jahren. Nur der Entwurf bleibt erhalten)

Mitglied der Allianz, Vereinigung moderner Schweizer Künstler, die im Vorjahr gegründet wurde. Ihr Präsident ist Leo Leuppi, die Vorstandsmitglieder sind Richard P. Lohse, Hans. R. Schiess, Walter Bodmer und Hans Erni. Zweck des Vereins ist die gemeinsame Förderung der modernen Kunst und die Wahrung der daraus sich ergebenden Interessen

Heirat mit Selma Bührer

Beauftragter für die Ausbildung von Lehrlingen und von Volontären der Kunstgewerbeschule Zürich

Gessner hat sich an der Geometrie und Mathematik erprobt, es entstehen Spiral-Kompositionen, die wohl mit Zirkel und Winkel konstruiert werden, die Wege und Endpunkte jedoch dem Gefühl überlassen sind

Hilfslehrer für Zeichnen an der Kunstgewerbeschule Zürich

Strenge Rechteckformen in Gitterkonstruktionen wechseln ab mit frei im Raum schwingenden Formen. Es erscheint mond- und sonnenhaft eine Kreisscheibe, entweder in der Funktion eines Gestirns über der Landschaft oder als Kontrapunkt zu spitzen, kristallinen Kumulationen von Flächenverspannungen. Die farbliche Differenzierung verleiht jedem Bild seinen eigenen Charakter. Die Bilder tragen keinen Titel. Sie sollen nichts als sich selber darstellen

Gessner malt das Ölbild „Haus an der Sonne“, das aufgebaut ist aus einem Gefüge von Rechtecken, Schrägflächen und kleinen Quadraten. Er bleibt dem Hausgefüge, woraus sich auch Stadtgefüge bauen lassen, lange treu

In der Themenwahl stehen drei Bereiche im Mittelpunkt: „Stadtarchitektur“ (wohl unter dem Einfluss von Paul Klee), „Kristalline Durchdringung“ (Bilder mit einem markanten Schnittpunkt) und „Flächenproportionen“ (reine Bilder ohne äusserlichen Gegenstandsbezug), wobei sie sich zum Teil überschneiden. Aus Skizzen gegenständlicher Motive entstehen Abstraktionen und auch rein ungegenständliche Gestaltungen

Fachlehrer für Zeichnen und Prorektor von Hans Fischer (fis) an der Kunstgewerbeschule Zürich. Leiter der Lehrlingsausbildung

Verschiedene Aufenthalt auf Ibiza

Jahrzehnt seines reifsten Wirkens. Er überblickt alles bisher Geschaffene und seit seinem Rückzug aus der Kunstgewerbeschule gelangt er viel befreiter zur Entfaltung. Seine Hauptthemen sind das „Idol“ – verstanden als Kreisscheibe, Sonnenscheibe, Segment, oft in Verbindung mit dem Meer und fast immer das Erlebnis in Ibiza widerspiegelnd. Das andere Thema wird als „Geheimnis der Geometrie“ bezeichnet,  in denen der letzte Rest gegenständlicher Erinnerungen getilgt ist

Die konstruktiven Lösungen werden immer reiner und einfacher

in Ascona gestorben